Regionalgeschichte

Regionalgeschichte

Eine laienhafte Betrachtung möglicher Geschehnisse aus einer nahezu schriftlosen Zeit von Ralf Sasse.

Mit der ersten schriftlichen Überlieferung von Kirchengründungen zum Anfang des 9. Jahrhunderts in Meldorf, Schenefeld und Hamburg endet die weitere Geschichtsschreibung Dithmarschens vorerst. Für die nachfolgenden zweieinhalb Jahrhunderte sind zum weiteren Verlauf der christlichen Mission, der Gründung weiterer Kirchen oder über die darauffolgende Entstehung der ersten Kirchspiele keinerlei Schriftzeugnisse erhalten geblieben. Ein gelehrter Mann beschrieb dies treffend als die „Blackbox“ der Geschichte Dithmarschens. Möglicherweise gingen die zentral archivierten Dokumente und Urkunden durch Raub oder Brand verloren, beispielsweise in den Jahren 845, 911, 983, 1066 und 1072 in Hamburg oder auch Bremen, wo um das Jahr 1040 der Dom niederbrannte. Nachfolgende Brand– und Kriegsgeschehnisse, welche sich bis in das 20. Jahrhundert hinein immer wieder ereigneten, seien hier nur am Rande miterwähnt. Erst zur Mitte des 11. Jahrhunderts tritt Dithmarschen als Reichslehen wieder urkundlich in Erscheinung, als ein Geschenk des Kaisers Heinrich IV. an den Bremer Erzbischof Adalbert.


Um das Jahr 805 wurde auch Nordelbien ins fränkische Großreich einverleibt. Damit endete der über 30 Jahre andauernde, sogenannte „Sachsenkrieg Karls“, von dem sein Biograph Einhard schrieb, dass dieser: „…der grausamste und anstrengendste war, den er je geführt hat.“ Mit jedem territorialen Gewinn wurde die vor Ort lebende, bis dahin zumeist heidnische Bevölkerung unter Zwang zum Christentum bekehrt, auch mit Feuer und Schwert. Dieses Vorgehen entsprach dem politischen Verständnis Karls des Großen und war während seiner Regentschaft gängige Praxis.

Eine erste Kirchengründung ist in Meldorf zwischen 810 und 825 anzunehmen, allerdings wird die Errichtung und der Ausbau von Verteidigungs– und Verwaltungsstrukturen mit Burg und Graf auch in Dithmarschen anfänglich im Vordergrund gestanden haben. Wahrscheinlich war es die Burg Esesfelth (westlich von Itzehoe), welche als erste fränkische Befestigung nördlich der Elbe um das Jahr 810 errichtet wurde und zudem auch als gesicherter Anleger für den gegenüberliegenden Handelsplatz Stade konzipiert war. Unter dem Schutz dieser Burg entstand etwa 12 Jahre später mit der „Cella Welanao“ ein früher Missionsstützpunkt.

Zum Zeitpunkt der Nordmission des Ebo von Reims ab dem Jahre 823 befand sich, geschützt im Mündungsgebiet von Miele und Süderau, ein kleiner, sicherer Anlandeplatz für den küstennahen Seehandel, unweit des hoch aufragenden und damit weit sichtbaren Meldorfer Geesthügels. Dieser lag verkehrsgünstig an alten, maritimen Handelswegen, welche bereits angelsächsische Missionare 100 Jahre zuvor bereisten um das Wort Gottes zu verkünden. Wahrscheinlich lag der Fokus des Ebo von Reims nicht nur auf der Bekehrung heidnischer Völker, er wird auch in paralleler Geheimmission und von der Losung „ein Gott, eine Kirche, ein Reich“ geleitet, mit der Erkundung der Landschaft und ihren Machtverhältnissen nördlich und östlich der Eider betraut worden sein.

Der aufstrebende Handelsort Haithabu mit seinem West–Ost Handelsweg über Eider und Treene war für das fränkische Reich sicherlich von großem ökonomischen wie auch militärstrategischem Interesse, einschließlich der sich weit in den Ostseeraum öffnenden, dänisch dominierten Seewege. Schon aus diesem Grund wird bereits Karl der Große seinen Macht– und Einflussbereich weit über die Elbe hinaus, nahe an das Danewerk verschoben haben. Mit Dänen und slawischen Stämmen in der Nachbarschaft war die Bedrohung der nördlichen Reichsgrenzen allerdings allgegenwärtig, einschließlich der Küstengewässer, Flüsse und der offenen Nordsee. Schon aus diesem Grund wird eine umfängliche, militärische Sicherung der eroberten und Nordelbien benannten Gebiete relativ früh eine hohe Priorität gehabt haben. Das Nordelbien jener Tage war räumlich erheblich kleiner als das, in seinen heutigen Grenzen bestehende Schleswig-Holstein, es lag westlich einer gedachten Linie: Kiel –Geesthacht und war im Norden durch den Lauf der Eider begrenzt.

Ein möglicher Ansatz zum besseren Verständnis der Geschehnisse in dieser schriftlosen Zeit erschließt sich bei der näheren Betrachtung zur Lage und Zweck der bereits bekannten, frühmittelalterlichen Befestigungsanlagen. Diese weisen eine auffällige Nähe zu den drei frühen Kirchorten Weddingstedt, Süderhastedt und natürlich Meldorf auf, womit sich ein direkter Zusammenhang eröffnet. Hier könnten schon früh erste, kleine Garnisonskirchen entstanden sein, errichtet für die vor Ort stationierten, christlich–fränkischen Einheiten. Für die Steller– und Bökelnburg ist der räumliche Zusammenhang offensichtlich, für Meldorf vermutet die Wissenschaft ebenfalls eine, bislang noch nicht nachgewiesene (seeseitige?) Verteidigungsanlage. Für Tellingstedt hingegen bedarf es, aufgrund einer nachweislich nicht existenten Burg, einer alternativen Bewertung aus militärstrategischem Blickwinkel. Hier eröffnet sich eine Option auf berittene Einheiten, welche zentral im Tellingstedter Raum stationiert gewesen sein könnten; Die sogenannten fränkischen Panzerreiter.

Auszug aus Wikipedia:
„Die fränkischen Panzerreiter waren speziell ausgebildete, schwer bewaffnete und mit metallenen Rüstungen gepanzerte Reiter. Sie gelten als Vorläufer der mittelalterlichen Ritter. Die Ausdehnung, die das Reich zur Blütezeit der Karolinger erreicht hatte, begrenzte den Einsatz der den fränkischen Herrschern unmittelbar zur Verfügung stehenden Infanterie. So konnte ein Krieger am Tag unter optimalen Bedingungen etwa 20 km marschieren, ein Reiter hingegen konnte in der gleichen Zeit etwa 50 km zurücklegen. Die markanteste Komponente an diesen Reitern war ihre metallene Rüstung und ihre gewaltige Durchschlagskraft beim Ansturm in enger Schlachtordnung als Schockkavallerie. Dies machten sie im Kampf gegenüber den meisten Infanterieformationen überlegen. Vor allem in den späteren Kämpfen gegen Wikinger erwiesen sich die mobilen Panzerreiter als schlagkräftige Waffe. Mit ihren Vorzügen an Mobilität, Schnelligkeit und Durchschlagskraft stellte die Reiterei zudem eine Erweiterung taktischer Möglichkeiten dar.“

Zum Anfang des 9. Jahrhunderts könnte ein größerer Verband berittener Soldaten im Dithmarscher Hinterland stationiert gewesen sein, um aus der erhöhter Lage des Geestrückens die lange Eidergrenze zu patrouillieren. Aus militärischer Sicht ist solch eine Strategie ebenso zweckdienlich wie effizient, eine Burganlage ist es unter diesen Umständen definitiv nicht. Das Operationsgebiet dieser Einheit wird sich demnach von der Mündung der Broklandsau im Norden, bis über die Niederungen der Gieselau hinaus in südlicher Richtung erstreckt haben.

Ausnahmslos jede Truppenstationierung bedarf (bis heute) einer individuellen, auf ihre Bedürfnisse angepasste, logistischen Infrastruktur, welche in der Epoche des frühen Mittelalters nur in der unmittelbaren Umgebung zu finden war. Befestigte Anlagen hatten somit zwangsläufig ein sehr großes Einzugsgebiet oder waren sogar von einem ganzen Landstrich abhängig, welcher die dort stationierte Besatzung mit allen, zum täglichen Leben notwendigen Gütern kontinuierlich versorgten konnte. Zudem bedurfte es ständig an Bau– und Brennholz, Handwerk, Hand– und Spanndiensten sowie an winterfesten Unterkünften und Nahrung für Mensch und Tier. Dieser beträchtliche Leistungsumfang ließ sich damals nur in der Nähe einer größeren Siedlung realisieren, welche -idealerweise- an einem schiffbaren Gewässer mit Zugang zum Meer lag.

Die dithmarscher Bevölkerung jener Tage sah sich wahrscheinlich einer kriegserfahrenen, gepanzerten Reiterei gegenübergestellt, welche vermutlich regelmäßig durch die Landschaft patrouillierte um diese sowohl umfänglich zu erkunden, als auch die notwendige Präsenz zu zeigen. Eine völlig neue, imperiale Ideologie beherrschte von nun an das Leben dieser zumeist einfachen Menschen. Zeitgleich wurde ihnen eine fremde Religion und Kultur aufgezwungen. Götzendienste und im Moor versenkte Opfergaben hatten damit endgültig ausgedient. Ein bis dahin größtenteils feindlich gesinnter Landstrich öffnete sich nun unter Zwang für neue Kontakte und Handelsbeziehungen und damit wohl auch für einen umfassenden, kulturellen Wandel. Friede und ein bescheidener Wohlstand mögen sich langsam eingestellt haben.

Ludwig, ein Sohn Karls des Großen, gründete im Jahr 831 das Erzbistum Hamburg und nur drei Jahre später war Dithmarschen bereits dem Bistum Hamburg unterstellt. Vor dem Hintergrund eines verheerenden Wikingerüberfalls auf das noch junge Hamburg entstand nach 845 das Bistum Hamburg–Bremen. Somit befand sich Dithmarschen gleich aus zwei Himmelsrichtungen im missionarischen Focus. Ein fortgesetztes Heidentum „vor der eigenen Haustür“ wäre schon aufgrund der räumlichen Nähe, sozusagen im Schnittpunkt von zwei Bischofssitzen, wenig wahrscheinlich gewesen. Vermutlich begünstigt durch die natürlich geschützte Lage Dithmarschens erfolgten keine bedeutenden Angriffe fremder Mächte wie Slawen, Wikinger oder Friesen. Die christliche Mission hätte sich durch dieses, weitgehend friedliche Umfeld jahrzehntelang ungehindert positiv entwickeln können; sicherlich auch in den größeren, landesinneren Geestsiedlungen Dithmarschens.

Eine erfolgreiche Mission bringt innerhalb von zwei oder drei Generationen neue, im Glauben verbündete Einheimische hervor und grenzt zeitgleich benachbarte, heidnische Stämme und Völker kontinuierlich weiter aus. Eine neue, sächsisch–-christliche Identität hätte sich somit ungehindert etabliert, aktiv unterstützt durch die neuen fränkischen Machthaber. Hierzu stellt sich die Frage, ob die Standortwahl zur Gründung weiterer Taufkirchen (nach Meldorf) in der Fläche Dithmarschens, wie beschrieben strategischen Gesichtspunkten, oder den natürlich gewachsenen Siedlungsplätzen gefolgt ist. Ein Blick auf die Karte vermittelt der Eindruck einer bewussten Aufteilung in der Fläche, möglicherweise in Kombination mit strategischen Erwägungen und den größeren, bereits vor Ort bestehenden Siedlungen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass mit der Etablierung neuer Machtstrukturen nördlich der Elbe auch die christliche Mission relativ zeitgleich nachfolgte, was die Errichtung einfacher Taufkirchen ermöglichte.

Meldorf dürfte unterdessen einen kleinen Aufschwung zum bescheidenen Umschlag– und Handelsplatz erlebt haben und entwickelte sich somit als eine kleine Siedlung kontinuierlich fort. Damit könnte ein parallel verlaufender, dynamischer Prozess seinen Anfang genommen haben, welcher die fränkische Kultur nachhaltig und netzartig in Dithmarschen implantierte. Wachstum durch Handel, Wohlstand und Frieden. Zeitgleich entwickelten sich in diesem Zusammenhang auch zwei weitere, maritime Handelswege positiv weiter:

                                    Stade – Burg (Dithmarschen) – Meldorf und: Eider – Treene –Haithabu

In Bezug auf den weiteren Missionsverlauf ist es nur schwer vorstellbar, dass beispielsweise um das Jahr 830 in Meldorf wirkende Missionare im Schutz einer fränkischen Befestigung untätig verharrten. Das Gegenteil wird sicherlich der Fall gewesen sein. Etwa zwanzig Jahre später erreichte die Nordmission bereits den von Wikingern beherrschten Handelsplatz Haithabu, wo Ansgar eine Kirche gründen durfte. Allerdings ist der Missionsfortschritt in Dithmarschen im Kontext zum fränkischen Reich zu betrachten. Im Gegensatz dazu war Ansgar in Haithabu vom Wohlwollen der jeweiligen, zumeist heidnischen Regenten abhängig, welchen nur selten eine lange und halbwegs stabile Regierungszeit vergönnt war.

Während sich unterdessen nördlich und östlich von Hamburg slawische Stämme und Dänen fortwährend in Krieg und Aufruhr befanden, lebte die Bevölkerung Dithmarschens durch die naturgeschützte Lage weiterhin in relativer Ruhe und Sicherheit. Nur einmal wurde die Burg (Bökelnburg) bei Süderhastedt um 1032 von slawischen Truppen erfolglos belagert, ansonsten blieben die Dithmarscher anscheinend von Krieg und Plünderung weitgehend verschont. In Folge dessen konnte sich auch das Christentum im Lande weiter entwickeln.

Mit der Formulierung „…eorum ecclesia mater in Melindorp...“ in der Hamburgischen Kirchengeschichte des Adam von Bremen um 1070/1076 findet sich ein Hinweis auf weitere Kirchen in Dithmarschen. In dieses Bild passt die Entdeckung einer ersten Holzkirche unter dem Fußboden von St. Severin in Hanerau-Hademarschen, welche auf das späte 10. Jahrhundert datiert wurde. Eine archäologisch belegte Holzkirche in Tostedt, Landkreis Harburg aus dem frühen 9. Jahrhundert stützt diesen Trend, ebenso wie die frühen Kirchen aus dem Land Hadeln. Um das Jahr 1075 zählt Adam von Bremen für die sieben Gaue des Bremer Bistums um die 50 Kirchen auf. Es wäre aufschlussreich zu erfahren, wie viele aus Dithmarschen damals dazuzählten. Mit einer undatierten Urkunde des Hamburger Domkapitels, vermutlich aus dem Jahre 1204 oder 1207, wird die Pfarrstruktur Dithmarschens deutlicher erkennbar. Es werden darin die Kirchorte Meldorf, Tellingstedt, Süderhastedt und Weddingstedt für das Jahr 1140 benannt, dazu Lunden, Büsum und das untergegangene Uthaven.

 

Anmerkung des Verfassers:
Diese Urkunde wurde rund 65 Jahre später, vermutlich in den Jahren zwischen 1204 oder 1207 ausgestellt und auf das Jahr 1140 (rück–) datiert; entweder als legitimiertes Duplikat, oder als eine gelungene Urkundenfälschung. Sie beschreibt unter anderem die Übertragung der Einkünfte, Zoll–, Besitz– und Verwaltungsrechte aus den dithmarscher Kirchspielen vom Bremer Erzbischof Adalbero (1123 bis 1148) an das Hamburger Domkapitel. Mit der Erstellung dieses Dokuments wurde unter Umständen ein seit langem bestehendes Recht geschickt außer Kraft gesetzt und entsprechend neues rückwirkend legitimiert. Der Zeitpunkt war günstig gewählt; Hartwig II, amtierender Erzbischof von Hamburg–Bremen, verstarb am 3. November 1207.

 

Solange keine archäologisch–wertvollen Grabungsbefunde im Bodenareal der Tellingstedter Martinskirche zutage treten, sei es nun durch Zufall oder gezielt durch die Archäologie, wird die Existenz von älteren Vorgängerkirchen im Ort unbewiesen bleiben. Allerdings lassen sich nachfolgende Vermutungen anstellen:

Bedingt durch die besondere topographische Gegebenheit einer inselartigen Randlage sollte die Christianisierung Dithmarschens gesondert von der in Nordelbien betrachtet werden. Tendenziell entwickelte sich die christliche Mission wahrscheinlich von der Westküste ausgehend, beziehungsweise aus dem Unterelberaum in Richtung Osten fort. Dithmarschens isolierte Westlage könnte sich demnach als Standortvorteil erwiesen haben, war die schnell erreichbare, räumliche Nähe zu Bremen, Stade und Hamburg für eine reibungslose Integration ins fränkische Reich mehr als förderlich; ebenso wie die anzunehmende Anwesenheit von Truppenkontingenten zum Schutz und Überwachung der Eider als bestehende Reichsgrenze. Mit den Jahren des fortschreitenden Missionsverlaufs werden sich günstige Bedingungen wie innerer, stabiler Friede, vermehrter Handel und ein wachsender Wohlstand eingestellt haben, begleitet von einer günstigen, klimatischen Warmphase.

Unter diesen Voraussetzungen ging mit dem missionarischen Erfolg auch eine immer breiter werdende Akzeptanz des Christentums einher. Aus diesem Prozess heraus wird, nach der ersten Kirchengründung in Meldorf, im nur rund 20 km entfernten Tellingstedt auch eine erste, hölzerne Taufkirche errichtet worden sein. Schon aufgrund ihres frühmittelalterlichen Patroziniums käme sie als eine, von Meldorf abgelegte Pfarrkirche durchaus in Betracht, Martinskirchen sind schon seit der Zeit der Karolinger bekannt. Die weithin, bis in unsere Tage geläufige Darstellung Martins als reitender Soldat und somit Namenspate der Kirche deutet möglicherweise auf die Anwesenheit berittener Soldaten im Raum Tellingstedt zu jener Zeit hin –Martin als Schutzheiliger der Reiter und Soldaten. Somit hätte ein Vorgängerbau der Martinskirche etwa zeitgleich mit jener hölzernen Kirche existiert, welche 2004 im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung unter dem Fußboden der Brandruine von St. Severin in Hanerau–Hademarschen entdeckt wurde. Beide Kirchen verbindet ein urzeitlicher Naturpfad / Landweg auf der Geest in Nord–Südrichtung. Diese anfänglich bescheidenen und relativ kleinen Kirchen hatten schon aufgrund ihrer Konstruktion und der klimatischen Einflüsse eine relativ geringe Lebensdauer.

Es ist daher anzunehmen, dass diese Gebäude nach wenigen Jahrzehnten erneuert, oder zumindest umfangreich instandgesetzt werden mussten, ebenso könnte auch ein stetig steigender Bedarf an Platz im Kircheninneren eine Erweiterung notwendig gemacht haben. Hierbei werden auch Verbesserungen wie steinerne Fundamente in Neu– oder Umbauten mit eingeflossen sein. Nachdem sich der christliche Glaube in Dithmarschen fundamentiert hatte, errichtete man auch in Tellingstedt eine Feldsteinkirche; fraglich ist nur, wann genau? Immerhin konnte die Landschaft Dithmarschen zur Mitte des 12. Jahrhunderts auf eine etwa dreihundertjährige, christliche Kultur zurückblicken, die sich wahrscheinlich in einem weitgehend friedlichen Umfeld entwickeln konnte. Nicht viel weiter östlich, jenseits des Limes Saxoniae, kämpften zur selben Zeit und mit wechselndem Kriegsglück noch immer heidnische Slaven, Dänen und sächsischer Adel um Macht, Einfluss und Territorien. Demnach ist die Annahme zulässig, dass die Martinskirche in Tellingstedt zu den frühen Kirchen Schleswig-Holsteins gehört.

Aufgrund der bereits erwähnten, fehlender Quellen bleibt die weitere Entwicklung der lokalen Kirchengeschichte, wie auch der Kirchspiele in Dithmarschen weitgehend unerforscht. Vor diesem Hintergrund verbleibt die theoretische (spekulative) Betrachtung der sozialen, wie machtpolitischen Strukturen Nordelbiens im frühen Mittelalter.

Mit einer vermutlich eher zögerlichen Hinwendung zum Christentum veränderte sich die angestammte und tief verwurzelte, heidnische Stammeskultur der zahlreichen bäuerlichen Siedlungsgemeinschaften entsprechend langsam. Es ist davon auszugehen, dass die zum Anfang des 9. Jahrhunderts von Friesen und Sachsen besiedelten Nordsee–Küstenregionen mit ihren patriarchalen Siedlungs– und Clanstrukturen die individuelle, soziale Stellung eines jeden in der Gruppe vorgab. Die fränkische Sozial– und Gesellschaftsordnung im 8. und 9. Jahrhundert legitimierte zudem die Herrschaft einer kleinen, führenden Oberschicht über abhängige, freie, unfreie und versklavte Menschen und ging somit mit den lokal vorherrschenden Gesellschaftsstrukturen weitgehend konform. Der Handel mit geraubten und in die Sklaverei gezwungenen Menschen war wahrscheinlich bis in das 12. Jahrhundert hinein allgemein gängige Praxis und dürfte auch in Dithmarschen als Normalität angesehen worden sein, wie im gesamten, hauptsächlich durch Wikinger dominierten Nord– und Ostseeraum, mit ihrem herausragenden Handelszentrum Haithabu.

 

Aus Wikipedia:
*…wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge resultierte der wirtschaftliche Aufschwung des Okzidents im 10. und 11. Jahrhundert aus dem Menschenhandel mit den islamischen Ländern, in dessen Folge große Mengen Gold nach Nordeuropa gelangte. *…noch im Jahre 1168 wurden auf dem Sklavenmarkt in Mecklenburg 700 Dänen von seeräubernden Slawen zum Verkauf angeboten. *…einer der bedeutendsten Philosophen und Theologen der Geschichte, Thomas von Aquin 1225 bis 1274, begründete unter Berufung auf Aristoteles die Rechtmäßigkeit und auch Notwendigkeit der Sklaverei aus dem Naturrecht.“

Demnach konnte es in Dithmarschen nur eine kleine, lokal bedeutende Führungselite gewesen sein, welche das Christentum zuließ, für sich schnell als vorteilhaft erkannte und mit einem entsprechenden Pragmatismus annahm; was unter Umständen nachfolgend auch in die Gründung vereinzelter, hölzerner Taufkirche gemündet haben mag. Man beugte sich schon aus existenziellem Zwang einer überlegenen Macht im Lande und deren spirituellen Kultur.

Die äußere Bedrohung durch Dänen, Wikinger und Slaven wird vermutlich das entscheidende Moment gewesen sein, in der isolierten Rand–Grenzlage Dithmarschens eng zusammen zu stehen. Man war auf sich allein gestellt und vertraute sicher nicht (nur) auf den Schutz Gottes. Durch die unmittelbare Nähe zur Eider als ein mögliches Einfallstor war der permanente Druck eines möglichen Überfalls allgegenwärtig. Dieser wird die weitere Entwicklung in Richtung einer existenziell notwendigen Interessensvereinigung gelenkt haben, welche sich schlussendlich in ein Dreierbündnis aus einheimischer, sächsischer Bevölkerung, bestehenden, königlichen Machtstrukturen und einer weit verzweigten Kirchenorganisation mit weltlichem Machtanspruch fundamentierte. Vereint unter dem Dach der christlichen Kirche fand sich für alle eine akzeptable, kulturelle Basis.

Über 150 Jahre später, Adam von Bremen hatte seine Schriften zur Hamburgischen Kirchengeschichte bereits vollendet, war Nordelbien noch immer nicht befriedet. Jenseits der Grenzen Dithmarschens kämpften heidnische Slaven, Dänen und der sächsische Adel weiterhin um Macht, Einfluss und Territorien. Über die Verhältnisse innerhalb Dithmarschens ist zu dieser Zeit so gut wie nichts bekannt. Allerdings ist davon auszugehen, dass mehrere, einfache Kirchen aus Holz in Land bereits existierten und das Christentum seitdem vollständig in die spirituelle Kultur der Menschen aufgegangen ist.

Das kirchliche Leben war nicht mehr länger die Sache eines einzelnen Priesters. Die stetig wachsende Gemeinde sah „ihre“ Kirche als einen heiligen Ort an, der gepflegt und umsorgt wurde. Kluge wie vertrauenswürdige Männer kümmerten sich nun auch um die weltlichen Belange ihrer Kirche und die der Gemeinde. Es waren Kirchengelder zu verwahren und Urkunden zu verwalten. Ein Baumeister nahm sich des Gebäudes an und vielleicht gab es bereits einen Schriftgelehrten im Ort. Der Begriff des „Kirchspiels“ war möglicherweise hier und da gebräuchlich, die benachbarten Siedlungen des Kirchenortes fühlten sich ebenfalls mit der einzigen Kirche im weiteren Umkreis eng verbunden –das Seelenheil war die Sache aller. Seit langem bestehende Schwurgemeinschaften und lokale, zumeist familiär geprägte Waffenbündnisse erweiterten ihr Wirken und Handeln um das Wohl ihrer gemeinsamen Kirche und verknüpfen diese zu einer machtvollen Einheit, die weit über spirituellen Belange hinaus zu gehen begann. Das Prinzip von Staat und Kirche fand nun auch in der kleinsten Einheit seine Entsprechung. Führungspersönlichkeiten stellten sich an ihre Spitze.

Noch einmal 100 Jahre später, etwa zur Mitte des 12. Jahrhunderts, hatten sich in Dithmarschen mächtige Kirchspiele herausgebildet, die aus einer außergewöhnlich starken Position heraus agieren. Dieses Selbstbewusstsein kam auch in der Errichtung erster Feldsteinkirchen zum Ausdruck, die sehr wahrscheinlich unter der Anleitung auswärtiger Baumeister in Meldorf, Tellingstedt, Süderhastedt und Weddingstedt begonnen wurden; möglicherweise an vier Orten zur gleichen Zeit, was durchaus sinnvoll gewesen wäre?

© Ralf Sasse, Schalkholt


„Dorfkirchen in Schleswig-Holstein", Jonkanski & Wilde, Neumünster 2000

„Geschichte Dithmarschens“ Verein für Dithmarscher Landeskunde e.V., Boyens Heide, 2000

„Geschichte Dithmarschens“ Band 3, „Von den Anfängen bis zum Ende der Bauernrepublik“, Boyens Heide, Nov. 2015

„Auf den Spuren Dithmarscher Geschichte“, Seite 38, Boyens Heide, 2012 

„Die Unterelbe“, Seite 73, Dirk Meier, Boyens Heide, 2014

„Schleswig-Holstein im Frühen Mittelalter“, Dirk Meier, Boyens Heide, 2011

„Schleswig-Holstein im Hohen und Späten Mittelalter“, Dirk Meier, Boyens Heide, 2012                                                                           

„Dithmarschen“ - Geschichte und Landeskunde Dithmarschens von Georg Marten, Heide und Karl Mäckelmann, Tellingstedt. Heide in Holstein, April 1927

Zeitschrift Dithmarschen, Ausgabe 1 / 2, Seite 63, Dr. D. Stein, April 2014  

„Die St. Martins-Kirche zu Tellingstedt im Wandel der Zeiten“ von Rudolf Meinhof

„Dithmarschens Kirchspiele im Mittelalter“ erschienen in der Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Heinz Stoob, 1951

ZDF-Reihe „History“

Wikipedia


811                  Burg Esesfelth, westlich von Itzehoe

818                  Limes Saxoniae

822                  Ansgar wird Erzbischof von Hamburg

845                  Zerstörung von Hamburg, der Bischofssitz wird nach Bremen verlegt

865                  Ansgar stirbt

911                  Ende der Karolingerdynastie, Krönung Konrad des I., reg. 911-918

934                  König Heinrich I. reg. 919-936, zwingt König Knuba zum Frieden und Taufe     

936                  König Otto I. reg. 936-973, beauftragt Hzg. Billung mit nördl. Grenzsicherung

947/948           Ernennung drei neuer Bischöfe für: Schleswig, Ribe und Arhus    

973                  König Otto II, reg. 973-983

974                  deutsche Oberhoheit in Schleswig    

983                  König Otto III, reg. 983-1002

983                  Slavenaufstände

1018                Slavenaufstände

1060                aktive Mission in Schleswig, Ribe und Arhus

1066                Slavenaufstände und Zerstörung von Haithabu