Geotop Eiszungenbecken

Wissenswertes zum Schalkholzer Eiszungenbecken

Einer zufällig ausgewählten Person „die Eiszeit“ erklären zu wollen, wird in der Regel auf ein erhebliches Verständnisproblem stoßen. Unvorstellbar groß sind sowohl die jeweilig andauernden Zeiträume von vielen zehntausend Jahren, als auch die, innerhalb „nur einer Kaltzeit“ zum Teil erheblichen Temperatur- und Klimaschwankungen. Ursachen dafür waren hauptsächlich Faktoren wie kosmische Ereignisse 1*, global veränderte Meeresströmungen, sich ändernde Gas-Bestandteile in der Erdatmosphäre und vulkanische Aktivitäten mit globaler Auswirkung.

Vor mehr als 325.000 Jahren lagen große Teile der heutigen Landfläche Dithmarschens aufgrund eines deutlich höheren Meeresspiegels noch auf dem Grund des sogenannten Holstein-Meeres; der Nordsee unserer Tage. Jäger- und Sammlergruppen von der Gattung des sogenannten „Heidelbergmenschen“ (Homo heidelbergensis, noch vor dem Zeitalter des Neandertalers) fanden in der norddeutschen Tiefebene Waldelefanten, Nashörner und Büffel als Jagdbeute vor. Diese klimatische Hochphase ging nach 25.000 Jahren ihrem Ende entgegen. Es folgte die, für die Entstehung der Landschaft um Schalkholz relevante Saale-Kaltzeit. Diese dauerte über 170.000 Jahre an, von 300.000 bis etwa 130.000 vor unserer Zeitrechnung. 

Mit dem Beginn der Saale-Kaltzeit wuchs langsam wieder ein gigantischer, geschlossener Eisschild über Skandinavien auf, welcher im Maximum bis zu 3000 m Höhe aufwies und die norddeutsche Tiefebene bis an die Mittelgebirge heran überdeckte.

Diese sehr lange Kaltzeit war aber bei weitem nicht statisch. Während der Saale-Kaltzeit kam es auf der Nordhalbkugel immer wieder zu bemerkenswerten Klimaschwankungen. Vielfältige Vegetationsstadien entstanden und vergingen währenddessen, die Landschaft mit ihrer Vegetation veränderte sich je nach klimatischen Verhältnissen zum Teil dramatisch. Entsprechend oft zog sich der Eisschild zurück, dehnte sich wiederkehrend nach Südwesten aus und formte mit unvorstellbaren Kräften jene ersten Konturen der uns heute bekannten, noch sichtbaren Landmasse Schleswig-Holsteins. 

Gleichwohl waren es ebenso mächtige, kilometerbreite Ströme aus Schmelzwasser, Geröll und Sand, die tiefe Rinnen ins Land frästen, so die Landschaft modellierten und sich ihren Weg durch den noch trockenen Nordseegrund bahnten. Der Meeresspiegel lag zeitweise um 120 m unter heutigem Niveau, man hätte trockenen Fußes England erreichen können. Elbe, Eider und Treene entstanden aus diesen Abflussrinnen in Richtung Westen.

Die Ortschaft Schalkholz ist eine ländlich geprägte Geestgemeinde mit rund 600 Einwohnern, im nordwestlich von Hamburg gelegenen Landkreis Dithmarschen. Ihre charakteristische Ortslage auf einer eiszeitlichen Stauchmoräne wird maßgeblich durch die, zumindest für Dithmarscher Verhältnisse, noch nennenswerten Höhenunterschiede im Dorf geprägt; welche in der Phase ihrer Entstehung um ein Vielfaches höher gewesen sein müssen. 

Die weite Niederungsebene des „Schalkholzer Eiszungenbeckens“ mit ihren großflächig umfassenden Stauchmoränen dominiert bis heute das Erscheinungsbild der Landschaft. Diese geologische Formation stellt eine nennenswerte, topografische Besonderheit in der außerordentlich vielfältigen und von Gletschern und Kaltzeiten geformten Naturlandschaft Schleswig-Holsteins dar. Dieses Geotop entstand vor etwa 130.000 Jahren im Ausklang der anfänglich genannten Saale-Kaltzeit, als sich eine Gletscherzunge aus der Inlandvereisung nach Westen vorschob und dabei seine eigenen Schuttablagerungen durchbrach. Unvorstellbare Massen an Material gerieten während dieses Prozesses in Bewegung, wurden verschoben, davongespült und zu Stauchmoränen aufgetürmt. Nachdem dieser Vorgang zum Stillstand kam, schmolz die Gletscherzunge ab. Es blieb eine mit Wasser gefüllte Senke zurück, welche sich durch einen sehr langen Zeitraum mit fließendem Erosionsmaterial und Flugsanden verfüllte.
 

Steinzeitliche Jäger und Sammler aus dem Zeitalter des Neandertalers betraten in der später folgenden Weichsel-Kaltzeit (115.000 bis 11.600) jene Geesthügel von Schalkholz, welche bis heute vom Kiesabbau fortlaufend abgetragen werden. Um 1977 fanden sich in einer Abbauwand einer Kiesgrube ihre Spuren anhand zurückgelassener Flint-Abschläge, etwa vier Meter unterhalb der damaligen Geländeoberfläche. Diese haben sich durch glückliche Umstände in einer mit Flugsand überdeckten, relativ schmalen Torfschicht erhalten. Die Herstellung dieser Fragmente lässt sich, aufgrund einer Pollenanalyse des umgegebenen Torfes, in eine Zeit zwischen 60.000 bis 70.000 vor Heute einordnen und gehört damit zu den ältesten Nachweisen menschlicher Anwesenheit in Schleswig-Holstein.

Hier gehts zum Museum für Archäologie und Ökologie Dithmarschen in Albersdorf.

Die Schalkholzer Kiesgrube wurde im Jahre 1970 als Fundplatz überregional bekannt, als sich dort sowohl Steinwerkzeuge der sogenannten „Hamburger Kultur“, als auch der „Federmesser-Kultur“ fanden. Beide Kulturgruppen waren hier auf der Jagd nach Großwild wie Elch und Rentier und hielten sich nacheinander, zwischen 12.800 v. Chr. und 10.800 v. Chr. auf den Schalkholzer Geesthügeln auf.

Diese regional auffällige Funddichte lässt die Annahme zu, dass der, bis in die Eider bei Pahlen auslaufende Höhenzug des Schalkholzer Eiszungenbeckens schon seit Urzeiten, für Mensch und Tier gleichermaßen, eine bevorzugte Stelle zur Querung des Flusses war. Aus Richtung Albersdorf kommend, den hoch und trocken gelegenen, urzeitlichen Naturpfaden der Geestrücken folgend.   

Rund 7000 Jahre später errichten die ersten Ackerbauern und Viehzüchter der neolithischen Trichterbecher-Kultur auf der Schalkholzer Geest beindruckende Steinkammern. Viele der in Schalkholz gemachten Funde sind im Museum für Archäologie und Ökologie Dithmarschen in Albersdorf am Bahnhof ausgestellt.

Es finden sich in der Gemarkung von Schalkholz zudem noch einige, bronzezeitliche Grabhügel. Ein weiteres, nennenswertes Denkmal ist auch der, in einem Gedicht von Klaus Groth beschriebene „Klaas-Steen“. Er steht an der Straße von Schalkholz nach Tellingstedt und wurde als „Sühnestein“ für einen Brudermord überregional bekannt. 
 

R. Sasse, 27.01.2020

Verwendete Literatur & Glossar

 

 

Geschichte Dithmarschens - Von den Anfängen bis zum Ende der Bauernrepublik (Boyens Heide 2015)

Schleswig-Holstein - Eine Landschaftsgeschichte (D. Meier Boyens Heide 2019)

Steinzeit in Schleswig-Holstein - R. Kelm (Hrsg.) (Husum 2019)

Wikipedia

 

 

Glossar

*1
- kleinere bzw. größere Neigungswinkel der Erdachse, im Verhältnis zur Umlaufbahn um die Sonne, 
- veränderte Umlaufbahnen um die Sonne herum, wechselnd von elliptisch bis annähernd kreisrund,
- schwankende Sonnenaktivitäten,
- Meteoriteneinschläge auf die Erde mit Staubkontamination der Erdatmosphäre. 


Die Saale-Kaltzeit
begann mit dem Ende der Holstein-Warmzeit vor 300.000 Jahren und endete mit dem Klimawandel zur Eem-Warmzeit, vor 126.000 Jahren. Die maximale Eisrandlage reichte in Deutschland etwa bis an die Mittelgebirge heran. Der skandinavische Inlandeisschild überdeckte Nord-, Ost-, Mittel- und Westeuropa. 


Homo heidelbergensis
der sogenannte Heidelbergmensch ist eine ausgestorbene Art der Gattung Homo. Dieser Art werden jenen Fossilien zugeordnet, die 600.000 bis 200.000 Jahre alt sind. Homo heidelbergensis ging aus Homo erectus hervor und entwickelte sich vor etwa 200.000 Jahren in Europa zum Neandertaler (Homo neanderthalensis) weiter. Es gibt keine klaren Trennungslinien zwischen Homo erectus und Homo heidelbergensis bzw. Homo heidelbergensis und Neandertaler. 


Der Neandertaler
wissenschaftlich Homo neanderthalensis, ist ein ausgestorbener Verwandter des anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens). Er entwickelte sich in Europa – parallel zum Homo sapiens in Afrika – aus einem gemeinsamen afrikanischen Vorfahren der Gattung Homo. Im Verlauf der letzten Eiszeit haben die Neandertaler ihr ursprüngliches, europäisches Siedlungsgebiet bis Westasien erweitert. Die DNA-Sequenzierung des Neandertaler-Erbguts ergab Hinweise auf mehrfachen Genfluss zwischen Neandertaler und Homo sapiens. Die Neandertaler stellten Werkzeuge aus Stein und Holz her und ernährten sich je nach klimatischen Gegebenheiten teils von Jagdbeute, teils von Pflanzennahrung. Auch beherrschten sie das Feuer. Es gibt derzeit unterschiedliche Theorien, warum die Neandertaler vor rund 30.000 Jahren ausstarben.


Ein Geotop 
beschreibt einen Ort von erdgeschichtlicher Bedeutung, an dem sich die Entwicklung der Landschaft nachvollziehen lässt. Beispielsweise geologisch herausragende wie sehenswerte Landschaftsformen, Findlinge, Quellen und Höhlen.
 

Die Weichsel-Kaltzeit 
war die letzte Kaltzeit vor dem Zeitalter des Holozäns, in dem wir derzeit, bei angenehm gemäßigtem Klima, leben.  Die vorangegangene Eem-Warmzeit ging dieser erneuten Kaltzeit voraus. Kennzeichnend war wieder ein großer Eisschild mit entsprechender Vergletscherung, welche vom skandinavischen Hochgebirge ausging und sich bis an die schleswig-holsteinische Ostküste, in die Mark Brandenburg und nach Nordrussland erstreckte. Vor etwa 115.000 Jahren sanken die Durchschnittstemperaturen deutlich. Während der Weichsel-Kaltzeit fanden auf der Nordhalbkugel immer wieder heftige Klimaschwankungen statt, die in der Fachsprache als: Glazial, Stadial und Interstadial benannt werden. In der Wissenschaft gebräuchliche, auf die Region bezogene Benennungen lauten beispielsweise:

Odderade-Interstadial
Die Pollenspektren lassen auf einen borealen (kaltgemäßigte Klimazone) Wald schließen. Er beginnt mit einer Baum-Birkenphase, die rasch zu einem Kiefernwald übergeht. Nachgewiesen sind auch Lärchen und Fichten sowie in sehr geringem Umfang auch Erlen.

Rederstall-Stadial
In Norddeutschland weisen die Pollenspektren auf eine Grastundra mit später folgender Strauchtundra hin.

Schalkholz-Stadial
Ein erster Eisvorstoß könnte bereits die südliche Ostseeküste erreicht haben. An der Typlokalität Schalkholz dokumentiert ein pollenfreier Sand eine weitgehend vegetationslose Landschaft.
Nach dem letzten Temperaturrückgang endete das Weichsel-Glazial mit einem abrupten Temperaturanstieg um 9.660 v. Chr. Damit begann unser heutiges, andauerndes Interglazial, das Holozän. Diese letzte Kaltzeit hat durch das Vordringen und Zurückweichen des Eises eine vielfältige Jungmoränenlandschaft hinterlassen. 

Dazu gehören die Urstromtäler mit Talsandflächen, in denen sich Abschnitte der heutigen Flussläufe von Elbe, Oder, Havel und Spree befinden. Ein weiteres Relikt aus der Zeit ist die Seenlandschaft der Mecklenburgischen Seenplatte. Auch Brandenburg und das Schleswig-Holsteinische Hügelland (u. a. Ostholstein) sind reich an weichselglazialen Seen, so etwa der Plöner See in der Holsteinischen Schweiz. Einige Seen wie der Schweriner und der Ratzeburger See sind in Gletscherzungenbecken entstanden, desgleichen einige Förden. 

Der Ausklang der bisher jüngsten Kaltzeit in Mitteleuropa ist gekennzeichnet durch den etappenweisen Rückzug des Eisrandes nach Norden. Durch das Abschmelzen des Eises stieg der vorher stark gesunkene Meeresspiegel wieder an, um insgesamt etwa 120 Meter von einem absoluten Tiefstand vor etwa 22.000 Jahren. In einem komplizierten Wechselspiel von Eisstauseen und Meeresvorstößen bildete sich über mehrere Stadien die heutige Ostsee aus. Dem Rückzug des Eises folgte eine Wiederbesiedlung durch Pflanzen und Tiere. Mit der Wanderung nach Norden erreichten verschiedene Jäger- und Sammlerkulturen Schleswig-Holstein. 

Glazial:         Vergletscherungsphase innerhalb einer Kaltzeit

Stadial:         Eis-Verstoß

Interstadial:    Eis-Rückzug

Interglazial:    Zwischenkaltzeit

Die Trichterbecher-Kultur
beschreibt das epochale Zeitalter der Ackerbauern und Viehzüchter zum Beginn der Jungsteinzeit (Neolithikum), etwa 4200–2800 vor unserer Zeitrechnung. Mit der neuen Lebensweise einer Vorratshaltung wurde der Mensch endgültig sesshaft und beendete damit die über Jahrmillionen andauernde Kultur der Jäger und Sammler. In Dänemark und Südskandinavien ist sie die erste, vom Ackerbau geprägte Kultur des nordischen Frühneolithikums. Ihr ging im Norden von 5100–4100 die mesolithischen (Mittelsteinzeit) Ertebølle-Kultur voraus. 

Die aufgefundene Keramik gab dieser Epoche ihren Namen. Die prägnante Form des sogenannten Trichterbechers hat ein bauchiges Unterteil und über der Gefäßschulter eine trichterförmig ausgeformte Öffnung. Die Becher mit komplexen Mustern gehören zu den schönsten Keramikobjekten dieser Kultur. In Dänemark ragt der um 3200 vor Christus entstandene Trichterbecher von Skarpsalling heraus. 
 
Charakteristisch für diese Kulturstufe sind geschliffene Felsgestein- und Feuersteinbeile, die als Statussymbol, Waffe oder zur Holzbearbeitung verwendet wurden. Daneben waren die üblichen steinzeitlichen Werkzeuge aus Feuerstein, etwa Schaber und Pfeilspitzen gebräuchlich.